Zusammenfassung: Hinter allen Werte-Systemen steht der Einfluss der Religion. Dieser Aufsatz widmet sich der Erziehung in fünf großen Weltreligionen (Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam). Er beschreibt ihre Riten bei der Geburt eines Kindes und beim Übergang von Kindheit zum Erwachsensein, Werte-Erziehung usw. Dann fasst er zusammen, worin sich die Religionen in der Erziehung gleichen. Er nennt die Werte, die man in allen Religionen findet, und zum Schluss konstatiert, dass in unserer Kultur das Werte-System von Bibel und Christentum ausgehen muss.
I. Einführung
Kann eine Werte-Erziehung ohne religiöse Dimension existieren? Rabbi Marc Gellman und Monsignor Thomas Hartman (1996: 13) dazu sagen:
„Ganz gewiss kann man auch ohne Religion ein guter Mensch sein. Gutes zu tun kann man nicht nur von einer Religion, sondern auch durch das Beispiel guter Menschen lernen. Zweifellos gibt es Bösewichter, die religiös sind, und rechtschaffene Menschen, die nicht religiös sind, aber eines steht für uns fest: Hinter allen guten Taten der Menschen steht der Einfluss der Religion.“
Es gibt keine Erziehung, die bezüglich der Religion und der Werte „neutral“ wäre. Die Eltern sozialisieren die Kinder und geben ihnen ihre Werte und ihre Religion mit auf den Weg. Religiöse Werte sind die Grundlage für ethisches Denken und Handeln.
In der heutigen Welt werden die meisten Kinder in einer von fünf Hauptweltreligionen erzogen (Hinduismus, Buddhismus, Judaismus, Christentum, Islam).
II. Hinduismus
Die Geburt des hinduistischen Kindes begleiten viele Sitten, z. B. „der Vater hält das Baby im Arm und flüstert ihm ein Mantra ins Ohr, eine heilige Formel, die es schützen soll“ (Gellman – Hartman, 1996: 119). Es gibt auch Zeremonien der Namensgebung. Das hinduistische Kind bekommt einesteils einen „laufenden“ Namen, anderenteils einen „geheimen“ Namen, den bis zur Pubertät nur der Vater und die Mutter kennen (vgl. Halík, 2006: 52).
Kinder werden zur Einhaltung der fünf alltäglichen Pflichten erzogen: 1) Yoga oder Meditation zu praktizieren, 2) den Familiengott zu verehren, 3) ältere Menschen und Ahnen zu ehren, 4) die Gastfreundschaft den armen und den heiligen Männern und Frauen anzubieten, 5) alle lebendige Geschöpfe zu respektieren (vgl. Keene, 2003: 26–27).
„Für Jungen im brahmanischen Hinduismus gibt es eine Zeremonie, die Upanajana, ,die Neugeburt’, heißt. Die Upanajana-Zeremonie wird abgehalten, wenn der Junge acht Jahre alt ist. Andere Hindus vollziehen sie erst mit elf oder zwölf. Der brahmanische Hindu bekommt ein heiliges Band, das er über der linken Schulter und unter dem rechten Arm trägt. Auch für Mädchen gab es eine entsprechende Feier, allerdings heute nicht mehr. In dieser Religion ist für viele Mädchen die Heirat der Moment des Erwachsenwerdens.“ (Gellman – Hartman, 1996: 125–126).
Mit den Riten des Erwachsenwerdens antreten die Jungen eine Reise der Füllung der Pflichten, die jedem Menschen seine Kaste und seiner Lebensstand aufgeben. So gewinnen sie ihre Identität im Rahmen der indischen Gesellschaft (vgl. Selucký, 1993: 50, 73).
III. Buddhismus
Mit der Geburt des Kindes verbundene Sitten unterschieden sich in verschiedenen Gebieten und in verschiedenen Formen des Buddhismus. In einigen Ländern des Therawada-Buddhismus bringen die Eltern ihr Kind in den Tempel, wo es seinen Namen bekommt. Die Mönche segnen das Kind, sie bespritzen es mit dem Wasser und man zündet eine Kerze an (vgl. Halík, 2006: 53).
Wie in allen Religionen, auch im Buddhismus begrüßen die Eltern ihre Kinder mit Freude. Sie glauben jedoch, dass die Kinder schon ihre eigene vorige Existenzen hatten, und sie sind also kein „Eigentum“ von ihren Eltern. Sie betrachten das Leben als eine kostbare Gelegenheit zur geistigen Entwicklung (vgl. Partridge, 2006: 207).
In einigen Therawada-Ländern müssen alle Jungen eine Zeit im Kloster verbringen. Diese Sitte erinnert an die Rituale des Erwachsenwerdens. Die Jungen studieren im Kloster buddhistische Lehren und nähren sich wie andere Mönche von der Nahrung, die sie erbetteln. Das ist für sie auch eine soziale Erziehung (vgl. Halík, 2006: 64).
IV. Judentum
Die Geburt des Jungen ist im Judentum vor allem mit der Beschneidung (brit mila) verbunden. In der Bibel sagt Gott zu Abraham: „Das ist mein Bund zwischen mir und euch samt deinen Nachkommen, den ihr halten sollt: Alles, was männlich ist unter euch, muss beschnitten werden.“ (Gen 17:10).
„Für Juden ist die Beschneidung das Zeichen für den ewigen Bund Gottes mit dem jüdischen Volk – jeder heute geborene jüdische Junge ist dadurch also dem alten Stammvater Abraham verbunden. Die Person, die die Beschneidung durchführt, heißt Mohel. Der Mohel kommt am Morgen des achten Lebenstages des Jungen in das Haus der Eltern… Der Junge wird dem Mohel von dem Paten auf einem Kissen gebracht, der Vater spricht ein Gebet und dankt Gott für das Gebot, seinen Sohn zu beschneiden… Nach der Beschneidung bekommt /der Junge/ einen hebräischen Namen und wird zur Mutter zurückgebracht…“ (Gellman – Hartman, 1996: 123; vgl. auch Lk 2:21).
Es gibt keine Analogie der Beschneidung bei den Mädchen; der Vater liest jedoch beim ersten Besuch der Synagoge im Sabbat nach der Geburt der Tochter aus der Thora und das Mädchen bekommt dann ihren jüdischen Namen (vgl. Halík, 2006: 32–33).
Im ersten Jahren ist die Mutter für die religiöse Erziehung des Kindes verantwortlich. Sobald das Kind sprechen kann, lernt es israelitisches Glaubensbekenntnis, Šema Jisra’el. In fünf Jahren beginnt es den religiösen Unterricht in der Synagoge besuchen (vgl. Partridge, 2006: 290–291). Das Judentum legt auf den Unterricht und auf das Studium ein großes Gewicht – nicht nur in der Kindheit, sondern auch im ganzen Leben.
„Juden haben ein sehr wichtiges Ritual für das Erwachsenwerden der Jungen, genannt Bar-Mizwa. Es findet am dreizehnten Geburtstag statt. An diesem Tag darf der Junge aus der Thorarolle vorlesen und feiert damit, dass er nun ein erwachsener Mann ist. Aus der Thora vorzulesen ist eines der schwersten und wichtigsten Rituale jüdischer Erwachsener. Keiner, der jünger ist als dreizehn, darf das. Ein Junge, der sich anschickt, aus der Thora vorzulesen, gibt dadurch den anderen Erwachsenen der jüdischen Gemeinde und, am wichtigsten, Gott zu verstehen, dass er bereit ist, ein gläubiger Jude zu sein… Die erste Bat-Mizwa (das entsprechende Fest für Mädchen) fand vor etwa fünfundsiebzig Jahren statt. Seitdem haben viele jüdische Mädchen in Synagogen, die nicht streng orthodox sind, genau wie die Jungen aus der Thora vorgelesen.“ (Gellman – Hartman, 1996: 124).
V. Christentum
Im katholischen und orthodoxen Christentum gibt es drei Sakramente der christlichen Initiation: Taufe, Firmung und Eucharistie. Nach dem Katechismus der katholischen Kirche (1993: 354) die Taufe „ist der Beginn des neuen Lebens“, die Firmung „dieses Leben stärkt“ und die Eucharistie „nährt den Gläubigen mit dem Fleisch und dem Blut Christi, um ihn in Christus umzugestalten“. Mit der Taufe wird ein Mensch in die Kirche aufgenommen. Christen (mit einer Ausnahme der Baptisten) erkennen auch die Kindtaufe.
„Bei einer Taufe wird die ganze Person ins Wasser getaucht, oder das Wasser wird nur über den Kopf gegossen oder gesprengt. Für Christen ist Wasser ein Symbol dafür, dass Jesus die Menschen von ihren Sünden reingewachsen hat. Die Eltern gehen mit den Paten, Freunden und Verwandten in die Kirche. Der Priester oder Pfarrer betet, liest aus der Bibel vor und fragt die Eltern, welchen Namen sie ihrem Kind geben wollen… Das Glaubensbekenntnis wird gesprochen… Danach machen katholische Priester mit Öl ein Kreuz auf den Scheitel des Babys… Die Eltern versprechen dann, ihr Kind im christentlichen Glauben zu erziehen. Der Priester oder Pfarrer tauft das Kind, indem er Wasser über dessen Stirn gießt und sagt: ,Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.’“ (Gellman – Hartman, 1996: 121–122).
Die Erwachsenen können erst nach einer Zeit der Vorbereitung, des Katechumenats, getauft werden. Die Kindertaufe erfordert nach dem katholischen Katechismus (1993: 345) „einen Katechumenat nach der Taufe. Dabei geht es nicht nur um die erforderliche Glaubensunterweisung nach der Taufe, sondern um die notwendige Entfaltung der Taufgnade in der Entwicklung der Person des Getauften. Hier hat die katechetische Unterricht seinen Platz.“ In der katholischen Kirche des römischen Ritus „geht die Initiation während der Jahre der Katechese weiter, um später durch den Empfang der Firmung und der Eucharistie, dem Höhepunkt der christlichen Initiation, vollendet zu werden“. In den Ostkirchen dagegen „beginnt die christliche Initiation der Kinder mit der Taufe, auf die gleich darauf die Firmung und der Empfang der Eucharistie folgt“.
Protestanten nennen das Ritual für das Erwachsenwerden Konfirmation. Sie ist gewöhnlich mit dem Unterricht des Katechismus und mit der Vorbereitung auf das Sakrament des Abendmals verbunden, sie ist aber kein Sakrament.
VI. Islam
Wenn in einer muslimischen Familie ein Kind geboren ist, flüstert der Vater ihm ins Ohr das Glaubensbekenntnis (schahada). Am achten Tag nach der Geburt bekommt das Kind den Namen, was mit der Opferung eines Schafes verbunden ist. Sobald das Kind sprechen kann, lernt er einfache islamische Wörter und Sätze, wie z. B. basmala („Im Namen Gottes, des Gnadenreichen, Barmherzigen“). Mit dem Koran-Unterricht beginnt man so bald als möglich (vgl. Denny, 1999: 141).
Die islamische Erziehung führt das Kind zum Glauben, zum Tun des Guten und zur Verehrung des Gottes. Die Eltern sollen siebenjährige Kinder zum Gebet ermuntern und zehnjährige Kinder leicht bestrafen, wenn sie nicht beten (vgl. Al-Minawi, 2000).
Islam hat kein Ritual für das Erwachsenwerden. Er kennt jedoch die Beschneidung, die man später als im Judentum (etwa in sieben Jahren) stattfindet. Wenn sich die Beschneidung erst in der Pubertät durchführt, ist sie (ähnlich wie Bar-mizwa im Judentum) mit der ersten vollständigen Rezitation des heiligen Buches verbunden. Der Junge rezitiert Koran, äußert seine religiöse Reife und wird ein vollberechtiger Muslim (vgl. Halík, 2006: 60).
VII. Schluss
Mit dem Papst Johannes Paul II. können wir staunen, wie viel verschiedene Religionen gemeinsam haben (vgl. Jan Pavel II., 1995: 87). Dies gilt auch auf dem Gebiet der Erziehung.
Alle Hauptreligionen der Welt können dem menschlichen Leben Struktur und Ordnung geben. In allen gibt es Riten, die die Menschen von Geburt durch ihr Leben begleiten und zur Reife führen. Alle sind in der Erziehung unersetzlich damit, dass sie den Kindern eine Botschaft von der höheren Wirklichkeit bringen und dass sie sie auf einen Weg einführen, an dem der Mensch sich selbst übersteigt. Alle appellieren an die Eltern, dass sie ihre Kinder zu den geistigen Werten, zum Absoluten und zum Sinn des Lebens führen.
Alle großen Religionen legen Gewicht auf Bildung (vgl. Halík, 2006: 65). Alle lehren, richtig zu leben, Gutes zu tun und Böses zu lassen, zum Glück anderer beizutragen usw. Alle kennen die Goldene Regel („Behandle andere, wie du selbst behandelt werden willst!“). Jede von ihnen umfasst ein ethischer Kodex und ein kompakter Werte-System.
Nur so ein System kann wirksame Plattform für die Erziehung vorstellen. In unserer Kultur dieses System von Bibel und Christentum ausgehen muss, die im Hintergrund des Sittenkodexes der Europäer stehen. Wir müssen die Kinder im Werte-System orientieren lernen, das aus Dekalog und aus Christi Botschaft der Liebe hinausgeht (vgl. Benda, 1996).
Andere Kulturen und Religionen kann uns nicht dieses System, sondern nur die Absenz eines Werte-Systems entfremden.
BIBLIOGRAPHIE
Quellen:
Die Bibel: Einheitübersetzung der Heiligen Schrift. Stuttgart: Katholische Bibelanstalt, 1980.
Katechismus der katholischen Kirche. München: Oldenbourg, 1993.
Literatur:
DENNY, Frederick M. Islám a muslimská obec. Praha: Prostor, 1999.
GELLMAN, Marc – HARTMAN, Thomas. Wie buchstabiert man Gott?: Die großen Fragen und die Antwort der Religionen. Hamburg: Carlsen, 1996.
HALÍK, Tomáš. Prolínání světů: Ze života světových náboženství. Praha: Nakladatelství Lidové noviny, 2006.
JAN PAVEL II. Překročit práh naděje. Praha: Tok, 1995.
KEENE, Michael. Světová náboženství. Praha: Knižní klub, 2003.
PARTRIDGE, Christopher (ed.). Lexikon světových náboženství. Praha: Slovart, 2006.
SELUCKÝ, Oldřich. Čítanka k občanské výchově Lidé a jejich náboženství. Praha: Fortuna, 1993.
Artikel:
AL-MINAWI, Kawther M. Práva detí v Islame. Hlas, 2000, Jg. 18, Nr. 9–12.
BENDA, Martin. O toleranci a křesťanské kultuře. Lidové noviny, 18. 4. 1996, Jg. 9, Nr. 92, S. 6.